Was ist Illustration? (II)

Date : 18/02/2018

Last Updated on 11/05/2019

Ein weites Feld

Betrachtet man das gesamte Gebiet der Illustration, so fällt auf, dass die verschiedenen Unterabteilungen nur schwer auf einen Nenner zu bringen sind. Das Gemeinsame von Buchillustration, wissenschaftlicher Illustration, Infographik und Graphic Recording, von Werbeillustration, Mode- und Architekturillustration, Character Design, Matte Painting, Concept Art, Graphic Novel und Animationsfilm scheint lediglich in ihrer Visualität zu liegen.

Man könnte einwenden, die Liste sei zu umfangreich, manches gehöre gar nicht zur Illustration; Matte Painting z.B. oder Graphic Novel und Animationsfilm. Dem ließe sich entgegenhalten, dass auch diese Bildmedien und Verfahren in der Illustrationsausbildung gelehrt werden und von Illustratoren ausgeübt werden, weshalb sie entweder einem erweiterten Illustrationsbegriff zuzurechnen wären, oder man trennt das Berufsbild Illustrator von der Illustration: nicht alles was ein Illustrator macht wäre dann auch Illustration. Als prominente Beispiele für eine medienübergreifende künstlerische Praxis auf dem Gebiet der Illustration wären der britische Illustrator, Autor, Filmemacher und Musiker Dave McKean (*1963) zu nennen, der in Paris lebende italienische Zeichner Lorenzo Mattotti (*1954), dessen umfangreiches Werk Modeillustration und Plakatdesign, Kinderbuch, Graphic Novel und Animationsfilm umfasst, oder der deutsche Illustrator, Plakatkünstler, Schriftdesigner, Graphic Novel-Autor und Musiker Henning Wagenbreth (*1962). Die Liste ließe sich problemlos um zahlreiche internationale Positionen ergänzen, sodass sich die Frage aufdrängt, ob es nicht geradezu ein Wesenszug von Illustration ist, mehrere Medien zu verbinden.

In der Illustration steht das Bild nicht für sich selbst, es ist immer an bestimmte Vorgaben gebunden, es wird einer bereits vorhandenen Sache hinzugefügt. Dabei handelt es sich in der Mehrheit um Erzählungen, es kann aber auch ein Ereignis, ein Gebäude, ein Lebewesen, der Entwurf eines Designers etc. sein. Die Illustration kann integraler Bestandteil des Endprodukts sein, was für einen Zeitschriftenartikel, ein Buch, eine Graphic Novel oder einen Animationsfilm zutrifft. Es gibt auch Fälle, bei denen die Illustration zwar im Entwurfsstadium verwendet wird, im Endprodukt aber nicht mehr auftaucht, etwa beim Design von Computerspielen oder Filmen (Storyboard, Character Design, Concept Art). Hier ist sie Hilfsmittel im kreativen und Produktionsprozess.

Wenn man diese nicht originären Bildinhalte ganz allgemein als Kontext bezeichnet, ließe sich Illustration als ›Bild im Kontext‹ definieren. Damit wäre zwar jeglicher Zusammenhang erfasst, allerdings haben auch nicht gegenständliche Bilder, die man nicht zur Illustration rechnen würde, ihre Kontexte. Es müsste also hinzugefügt werden, dass es sich um gegenständliche Darstellungen handelt. Ob abstrakte Bilder als Illustration grundsätzlich auszuschließen sind, müsste eigens untersucht werden1. Allgemein dürfte jedoch die Vorstellung von Illustration als gegenständlichem Bild vorherrschen, weswegen es sinnvoll erscheint, vorerst dabei zu bleiben. Zudem ließen sich die Kontexte unter dem Begriff ›Text‹ zusammen, dann wäre Illustration, dem klassischen Fall der Buchillustration folgend, als Bild/Text-Praxis zu definieren. Auch wenn dies nicht unproblematisch ist, beispielsweise im Fall von Mode- und Architekturillustration, halte ich es für eine gute Idee, das Bild/Text-Verhältnis, wenigstens ebenfalls vorläufig, in den Mittelpunkt zu stellen, um überhaupt erst mal eine Vorstellung davon zu bekommen, was eine Theorie der Illustration sein könnte: eine Bild/Text-Wissenschaft.2

Es werden bildnerische Mittel nicht nur verwendet um außerbildliche Inhalte – den wie auch immer gearteten Text – darzustellen, üblicherweise befindet sich dieser Text auch in demselben technischen Medium. Dabei handelt es sich zumeist um ein Buch, wie das nebenstehende Zitat aus Büttner/Gottdang belegt. Ähnlich gelagert ist die Situation in einer Zeitschrift und – in gewissen Grenzen – auch im Plakat oder einer Werbeanzeige. Text und Bild können innerhalb des Mediums räumlich getrennt – hier der Text, da das Bild – oder ineinander verschränkt bzw. überlagernd angeordnet sein. Solche Bild/Text-Kombinationen dienen ganz offenbar der Kommunikation, weshalb es sinnvoll erscheint, Illustration unter kommunikativen, und das heißt unter Zeichenaspekten zu untersuchen. Und wie wäre es dann, Illustration als ›kommunikatives Bild‹ oder ›visuelle Kommunikation‹ zu definieren? In diesem Fall müsste geklärt werden, wie Kommunikation zu verstehen ist. Etwas unglücklich ist zudem der Umstand, dass Graphik Design und Typographie auch zur visuellen Kommunikation zählen, aber nicht zur Illustration. Die Bedeutung der Kommunikation für Illustration als Bild/Text-Praxis jedenfalls ist unbestritten und da es gut entwickelte Kommunikations- und Zeichentheorien gibt, befindet man sich in der glücklichen Lage, sozusagen aus dem Vollen schöpfen zu können. Eine Situation, die auch auf alle anderen Disziplinen, welche für das Projekt einer Theorie der Illustration infrage kommen, zutrifft: Ästhetik, Medienwissenschaften, Bildwissenschaften, Literaturwissenschaft, Filmwissenschaft, Kunstwissenschaft, Narratologie, Wahrnehmungspsychologie und Kulturwissenschaften.

Dass es zwischen diesen Disziplinen zahlreiche Überschneidungen gibt, soll hier erst mal nicht stören. Festzustellen bleibt, es sind genügend gut entwickelte Theorien vorhanden, von denen Illustratoren sich größere Klarheit über ihr eigenes Schaffen erhoffen können. Am wenigsten gut untersucht dürfte hingegen das konkrete Material sein: zur Geschichte der Illustration ist bislang noch wenig gearbeitet worden. Zwar gibt es zahlreiche Bücher über Illustration, auch eine Reihe sorgfältig recherchierter Blogs, auf denen eine Fülle an Material zu finden ist. Von einer wissenschaftlichen Aufarbeitung ist aber in den wenigsten Fällen zu sprechen. Was aber nur bedeutet, dass man auch hier – auf andere Weise – aus dem Vollen schöpfen kann.

Soweit ich das beurteilen kann, haben Illustratoren von Wissenschaften wie Ästhetik, Bildwissenschaft, Semiotik usw. nichts oder bestenfalls am Rande gehört. Will man die Idee eines interdisziplinär angelegten Illustrationsstudiums ernst nehmen, muss den genannten Wissensgebieten hier selbstverständlich ein entsprechender Platz eingeräumt werden. Wer Illustratoren lediglich als Zeichner sieht – eine, wie ich glaube, weit verbreitete Ansicht –, verfehlt damit nicht nur den irgendwie doch offensichtlichen Bild/Text-Charakter von Illustration, er bleibt auch weit hinter ihren tatsächlichen Möglichkeiten zurück.

Der Begriff der Illustration aber wurde erst um 1840 eingeführt und »fast ausschließlich für die bildliche Erläuterung, den Schmuck eines gedruckten Buches gebraucht«, wie man in Meyers Konversationslexikon von 1888 lesen kann.

Frank Büttner, Andrea Gottdang3

Anmerkungen

  1. Könnte man, wenn abstrakte Begriffe, statt wie üblich in Allegorien, in abstrakte Bilder gekleidet werden, noch von Illustration sprechen? Gibt es den Fall, dass abstrakte Bilder etwas illustrieren? Ich werde in einem späteren Beitrag darauf zurückkommen.
  2. Der Literaturwissenschaftler und Mediävist Horst Wenzel hat sich vor dem Hintergrund seiner Forschung zur 1215/16 veröffentlichten illustrierten Handschrift Der welsche Gast des Tomasin von Zerclaere für eine Text/Bild-Wissenschaft ausgesprochen. Wenzel betont insbesondere die Bedeutung der Imagination bei der Interaktion von materiellem Bild und geschriebenem Text, die wie ein Scharnier zwischen beiden den eigentlichen Entstehungsort der (vorgestellten) Bilder markiert.: Vgl. Horst Wenzel,»Zur Narrativik von Bildern und zur Bildhaftigkeit der Dichtung. Plädoyer für eine Text-Bildwissenschaft«, in: Hans Belting (Hg.), Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München: Fink 2007. S. 317–331.
  3. Frank Büttner, Andrea Gottdang, Einführung in die Ikonographie, München: C.H.Beck 2006, S. 243
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