Was ist Illustration? (I)

Date : 24/07/2017

Last Updated on 29/03/2019

Unter dem Titel Was ist Illustration? schreibe ich hier in loser Folge über Illustration und Illustratoren. Mich interessieren insbesondere Perspektiven und Möglichkeiten einer Theorie der Illustration sowie die möglichen Gründe ihrer bisherigen Verhinderung.

Die Krise der Illustration

Illustration boomt! – seit fünfzehn Jahren wenigstens. Der Illustration geht es so gut wie in ihrem ›goldenen Zeitalter‹ (1850–1925) – vielleicht sogar besser. Vor diesem Hintergrund scheint es abwegig, von einer Krise der Illustration zu sprechen. Und in der Illustration ahnt man auch nichts davon.

Die Bewerbungen an den Hochschulen sind konstant hoch, die Fachbereiche stocken das Lehrpersonal auf, neue Illustrationsklassen werden eingerichtet, an der ZHdK Zürich gibt es gar einen Studiengang Scientific Illustration, private Ausbildungsinstitute mit Schwerpunkt Illustration (z.B. Akademie für Illustration und Design Berlin AID) entstehen. Die Graphic Novel hat sich ihren festen Platz in der Literatur – und zunehmend auch in den Museen – erkämpft, der Animationsfilm hat die Filmproduktion grundlegend verändert, in der Games-Branche sind ganz neue Betätigungsfelder für Illustratoren entstanden, kaum ein Unternehmen will noch auf Infografiken verzichten und Graphic Recording ist der letzte Schrei auf Konferenzen.

Was also könnte es sein, das sich auf seltsame Art verbirgt vor jenen, denen es als zuerst auffallen müsste? Wesentlicher Grund für die andauernde Konjunktur der Illustration ist der mit der Digitalisierung und neuen Reproduktionsverfahren verbundene, vor nunmehr fünfundzwanzig Jahren ausgerufene ›pictorial turn‹ oder ›iconic turn‹.1 Doch unter Illustratoren ist der Begriff des ›iconic turn‹ alles andere als geläufig; es ist nicht übertrieben zu behaupten, er sei unbekannt. In der Illustration weiß man schlicht nichts von dem größeren gesellschaftlichen Kontext, in dem man sich bewegt; man zeichnet halt – und oftmals mit großem Talent –, kennt aber weder kulturhistorische Entwicklungen noch ist man mit kunst-, medien- oder kommunikationswissenschaftlichen Theorien oder Perspektiven vertraut. Illustratoren mögen gute Zeichner sein, sie sind ganz sicher keine Bild-Experten. Wer etwas über Bilder wissen möchte und einen Illustrator befragt, darf nicht hoffen, eine interessante Antwort zu erhalten.

Noch nie ist eine Kunst groß geworden ohne Theorie.

Béla Balázs2

In nahezu allen Designbereichen hat man sich den letzten Jahren um ein theoretisches Fundament bemüht – mit Ausnahme der Illustration. Über Illustration werden keine Dissertationen geschrieben, es gibt keinen Diskurs, eine Theorie der Illustration ist nicht in Sicht. Und dies geht wesentlich auf das Konto der Illustration selbst: es fehlt schlicht das Interesse am eigenen Medium. Zwar interessiert sich auch sonst niemand ernsthaft für Illustration – in der Kunst wird das Attribut illustrativ nur abwertend gebraucht, um auf mangelnde Eigenständigkeit eines Werks hinzuweisen. Aber auch vom Radar der Kunstgeschichte wird sie kaum erfasst und wenn dann befasst man sich mit mittelalterlichen Handschriften. Wogegen nichts zu sagen ist; beklagenswert ist jedoch das geringe Interesse an der Illustration seit der Romantik. Dennoch hat man in den letzten Jahren in den Bildwissenschaften das Thema entdeckt und auch im kuntshistorischen Umfeld wurden einige Symposien und Workshops organisiert3 Insgesamt aber ist dies noch zu wenig, um den denkbar schlechten Ruf der Illustration zu verbessern. Besonders schwer wiegt dabei das Desinteresse der Illustratoren, von denen man erwarten könnte, dass sie zu einer Theorie eben jener Bilder beitragen, die sie produzieren. Öffentliche Illustrationsveranstaltungen haben jedoch eher folkloristischen Charakter.

Es gilt ein brachliegendes Terrain zu erschließen, auf dem neue, spannende Möglichkeiten und Perspektiven für die Illustration ihrer Entdeckung harren und dem Fach mehr Konturschärfe verleihen könnten. Denn die Illustration leidet an einem Mangel der Selbstverortung, sie ist sich selbst nicht im Klaren über ihre Position in der Bildgeschichte der Menschheit. Nicht nur das, auch ihre Themen sind eher redundant – doch davon später mehr. Diese Position zu klären, wäre ein erster Schritt auf dem Weg – wie es im obenstehenden Zitat des Filmtheoretikers Béla Balász heißt – groß zu werden, und das bedeutet: erwachsen zu werden.

Schlüsseltexte der Bildwissenschaft von W.J.T. Mitchell und Gottfried Boehm (Hg.)

Anmerkungen

  1. Vgl. W.J.T. Mitchell, »The Pictorial Turn«, in: ders., Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago: University of Chicago Press 1994 [deutsch: W.J.T. Mitchel, Bildtheorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2008], Gottfried Boehm, »Die Wiederkehr der Bilder«, in: ders. (Hg.), Was ist ein Bild?, München: Fink, 1994.
  2. Béla Balázs, Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 10
  3. Hier eine Auswahl: Strategien der Zeichnung. Kunst der Illustration, Vorlesungsreihe mit Workshop im WS 12/13 und SS 2013, Bremen; Publikation: Michael Glasmeier (Hg.), Strategien der Zeichnung. Kunst der Illustration, Textem 2014 (meine Rezension: http://www.jitter-magazin.de/strategien-der-zeichnung/; Der Illustrations-Impuls # 1, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, 25. November 2014, http://www.jitter-magazin.de/der-illustrations-impuls-1/; Der Illustrations-Impuls # 2, Stuttgart, Staatliche Akademie der Bildenden Künste, 17. Februar 2015, http://www.jitter-magazin.de/der-illustrations-impuls-2/;  Epistemische Bilder, Zürcher Hochschule der Künste, Freitag, 29. September 2017, http://www.jitter-magazin.de/epistemische-bilder/; Wissen braucht Gestaltung. Zur Rolle von Wissenschaftsillustrationen in Wissenschaftsprozessen, Interdisziplinäres Labor Bild Wissen Gestaltung, Berlin, 20.–21. Oktober 2017, http://www.jitter-magazin.de/wissen-braucht-gestaltung/
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